EuGH: Auch für parlamentarische Untersuchungsausschüsse gilt die DSGVO

Der EuGH hat im Zusammenhang mit einem Vorabentscheidungsersuchen des österreichischen Gerichtshofes vom 14.12.2021 heute entschieden, dass Art. 16 Abs. 2 Satz 1 AEUV und Art. 2 Abs. 2 Buchst. a der Verordnung (EU) 2016/679 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. April 2016  dahingehend auszulegen ist, dass ein Untersuchungsausschuss, der vom Parlament eines Mitgliedstaates zur Ausübung des Kontrollrechts der Vollziehung eingesetzt wurde, grundsätzlich die DSGVO einzuhalten hat.

Der Anlass für die Rechtssache war ein vom österreichischen Nationalrat eingesetzter Untersuchungsausschuss, der politische Einflussnahmen auf das Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung untersuchen sollte. Hierzu wurde ein verdeckter Ermittler der polizeilichen Einsatzgruppe für die Bekämpfung der Straßenkriminalität als Auskunftsperson befragt. Einer dieser verdeckten Ermittler, der im Bericht namentlich genannt wurde, reichte eine Beschwerde bei der Datenschutzbehörde ein, da in einem Protokoll seiner Befragung auf der Webseite des österreichischen Parlaments sein vollständiger Name entgegen seines Antrag auf Anonymisierung  veröffentlicht wurde.

Die im Anschluss hiergegen gerichtete Beschwerde bei der zuständigen Datenschutzschutzbehörde, wurde zurückgewiesen. Als Begründung wurde angeführt, dass die DSGVO grundsätzlich einer Aufsicht der Aufsichtsbehörden über die Organe der Gesetzgebung zwar nicht entgegenstehe, dass aufgrund des Gewaltenteilungsgrundsatzes eine Kontrolle der Exekutiven über die Legislative aber ausgeschlossen sei. Vor diesem Hintergrund und aufgrund des Umstands, dass der Untersuchungsausschuss der Gesetzgebung zuzurechnen sei, sei die Datenschutzbehörde als Organ der Verwaltung nicht befugt, die Tätigkeit dieses Ausschusses zu kontrollieren, und daher für eine Entscheidung über die Datenschutzbeschwerde unzuständig.

Der Bescheid wurde durch das Bundesverwaltungsgericht in Österreich mit der Begründung aufgehoben, dass die DSGVO Anwendung in Bezug auf die Tätigkeit des Untersuchungsausschusses findet, da der materielle Anwendungsbereich der DSGVO gemäß Art. 2 Abs. 1 umfassend konzipiert sei und sich daher auf alle Datenverarbeitungen, unabhängig davon, welches Organ die Verarbeitung vornehme und welcher Staatsfunktion das verarbeitende Organ zugeordnet sei, bezieht. Im Übrigen könne Art. 2 Abs. 2 DSGVO auch keine Ausnahme bestimmter Staatsfunktionen, etwa der Gesetzgebung, von der Anwendbarkeit dieser Verordnung entnommen werden, da die in Buchst. a dieser Bestimmung vorgesehene Ausnahme restriktiv auszulegen sei. Folglich sei die Datenschutzbehörde gemäß Art. 77 DSGVO für die Entscheidung über die Beschwerde zuständig.

Die Datenschutzbehörde legte Revision beim Verwaltungsgerichthof ein, der die Entscheidung mit folgenden Fragen dem EuGH vorlegte:

  1. Sind Akte eines Untersuchungsausschusses, der vom Parlament eines Mitgliedstaats eingesetzt wurde, unabhängig vom Untersuchungsgegenstand gemäß Art. 2 Abs. 2 Buchst. a DSGVO und Art. 16 Abs. 2 Satz 1 AEUV vom Anwendungsbereich der DSGVO ausgenommen, da es sich bei der Tätigkeit eines solchen Ausschusses naturgemäß um eine Tätigkeit handelt, die nicht in den Anwendungsbereich des Unionsrechts fällt.
  2. Als Zweites weist das vorlegende Gericht darauf hin, dass der Untersuchungsgegenstand des Untersuchungsausschusses die nationale Sicherheit betreffende Tätigkeiten umfasse, die im Hinblick auf den 16. Erwägungsgrund der DSGVO nicht in den Anwendungsbereich des Unionsrechts fielen und daher gemäß Art. 2 Abs. 2 Buchst. a DSGVO von ihrem sachlichen Anwendungsbereich ausgenommen seien.
  3. Als Drittes fragt das vorlegende Gericht, ob insbesondere in Anbetracht des verfassungsrechtlichen Gewaltenteilungsgrundsatzes in Österreich die Datenschutzbehörde – die einzige nationale Aufsichtsbehörde im Sinne von Art. 51 DSGVO – auf der Grundlage allein dieser Verordnung für die Entscheidung über eine Beschwerde wie die von WK erhobenezuständig sei, wenn es innerstaatlich keine verfassungsrechtliche Verankerung gebe, die die Begründung dieser Zuständigkeit ermögliche.

 

Entscheidung zu 1.:

Art. 16 Abs. 2 Satz 1 AEUV und Art. 2 Abs. 2 Buchst. a DSGVO sind dahin auszulegen, dass nicht angenommen werden kann, dass eine Tätigkeit allein deshalb außerhalb des Anwendungsbereichs des Unionsrechts liegt und damit der Anwendung der DSGVO entzogen ist, weil sie von einem vom Parlament eines Mitgliedstaats in Ausübung seines Kontrollrechts der Vollziehung eingesetzten Untersuchungsausschuss ausgeübt wird.

Entscheidung zu 2.:

Art. 2 Abs. 2 Buchst. a DSGVO ist im Licht des 16. Erwägungsgrundes dieser Verordnung dahin auszulegen, dass die Tätigkeiten eines vom Parlament eines Mitgliedstaats in Ausübung seines Kontrollrechts der Vollziehung eingesetzten Untersuchungsausschusses, die der Untersuchung der Tätigkeiten einer polizeilichen Staatsschutzbehörde aufgrund des Verdachts politischer Einflussnahme auf diese Behörde dienen, als solche nicht als die nationale Sicherheit betreffende Tätigkeiten im Sinne dieser Bestimmung anzusehen sind, die außerhalb des Anwendungsbereichs des Unionsrechts liegen.

Entscheidung zu 3.:

Art. 77 Abs. 1 und Art. 55 Abs. 1 DSGVO sind dahin auszulegen sind, dass diese Bestimmungen, wenn ein Mitgliedstaat, der im Einklang mit Art. 51 Abs. 1 DSGVO bloß eine einzige Aufsichtsbehörde eingerichtet hat, sie aber nicht mit der Zuständigkeit für die Überwachung der Anwendung dieser Verordnung durch einen vom Parlament dieses Mitgliedstaats in Ausübung seines Kontrollrechts der Vollziehung eingesetzten Untersuchungsausschuss ausgestattet hat, dieser Behörde unmittelbar die Zuständigkeit übertragen, über Beschwerden betreffend von diesem Untersuchungsausschuss durchgeführte Verarbeitungen personenbezogener Daten zu befinden.

Quellen: