Mit der Produkthaftungsrichtlinie EU 2024/2853 wird durch europäisches Recht, das aus den 1980er Jahren stammende Produkthaftungsrecht grundlegend modernisiert. Das Produkthaftungsrecht ist ein eigenes, verschuldensunabhängiges Haftungsregime neben der vertraglichen Haftung, die regelmäßig ein Vertretenmüssen des Schädigers im Falle einer Schädigung voraussetzt und der Deliktshaftung, die ein Verschulden erfordert. In der Sache geht es im Produkthaftungsrecht um eine Kompensation für aufgrund eines fehlerhaften Produkts entstandene Schäden einer natürlichen Person. § 1 Abs. 1 des deutschen Produkthaftungsgesetzes (ProdHaftG) bestimmt insoweit, dass soweit durch den Fehler eines Produkts jemand getötet, sein Körper oder seine Gesundheit verletzt oder eine Sache beschädigt wird, der Hersteller des Produkts verpflichtet ist, dem Geschädigten den daraus entstehenden Schaden zu ersetzen. Im Falle der Sachbeschädigung gilt dies nur, wenn eine andere Sache als das fehlerhafte Produkt beschädigt wird und diese andere Sache ihrer Art nach gewöhnlich für den privaten Ge- oder Verbrauch bestimmt und hierzu von dem Geschädigten hauptsächlich verwendet worden ist.
Durch die Richtlinie EU 2024/2853 wird der Anwendungsbereich der Produkthaftung auf digitale Produkte und Künstliche Intelligenz (KI) ausgeweitet. Sowohl Software als auch KI-Systeme werden als Produkte im Sinne des Produkthaftungsrechts genannt. Einzig ausgenommen ist Open-Source Software, die außerhalb einer Geschäftstätigkeit zum Einsatz kommt. Der Kreis möglicher Haftungsadressaten wird durch die Produkthaftungsrichtlinie ausgeweitet. Demnach sind neben dem Entwickler eines KI-Basismodells auch Anbieter von KI-Diensten mögliche Haftungsadressaten. Letztere sind vor allem Softwareanbieter, die KI in ihre eigene Software integrieren. Schließlich kann eine Haftung aber auch für denjenigen in Betracht kommen, der wesentliche Änderungen an einer KI vornimmt, das heißt, diese etwa mit eigenen Daten trainiert.
Da ein Mangel an Cybersicherheit zusätzlich in den Katalog möglicher Fehler eines Produkts aufgenommen wurde, ergibt sich für die Haftungsadressaten ein neues Risiko einer bislang nichtexistierenden Verantwortlichkeit für das Verhalten außenstehender Dritter, etwa für durch Hacker unbemerkt verursachte Schäden durch das Produkt.
Grundlegend reformiert werden auch die Beweislastregeln. Nach der neuen Regelung reicht es aus, dass ein Geschädigter in nachvollziehbarer Weise vorträgt, durch ein digitales Produkt beziehungsweise KI geschädigt worden zu sein. Zu seinen Gunsten greifen sodann umfängliche Beweisvermutungen und den Haftungsadressaten treffen Offenlegungspflichten, um die entsprechenden Vorwürfe der Fehlerhaftigkeit eines Produkts sowie eine etwaige dadurch entstandene Schädigung eines Dritten zu entkräften.
Die bislang im Produkthaftungsrecht geltende Haftungshöchstgrenze von 85 Mio. Euro sowie ein Selbstbehalt des Geschädigten von 500 Euro werden mit der Neuregelung jeweils abgeschafft.
Unternehmen sollten vor dem Hintergrund der vorliegenden Gesetzesänderungen bereits jetzt aktiv werden und ihre eigene Rolle im Haftungsregime der Produkthaftung identifizieren, insbesondere um durch Vertragsgestaltung mögliche Regressansprüche gegenüber Zulieferern und sonstigen Dienstleistern festlegen zu können. Darüber hinaus ist – aufgrund bestehender Offenlegungspflichten – zu empfehlen, die Veränderung von Produkten einerseits lückenlos aber andererseits so zu dokumentieren, dass Geschäftsgeheimnisse gewahrt bleiben und die Informationen im Zweifel veröffentlicht werden können.
Der deutsche Gesetzgeber hat bis zum 09. Dezember 2026 Zeit, die Neuregelung in nationales Recht umzusetzen. Derzeit befindet sich ein Referentenentwurf in der Abstimmung mit den Ländern und Verbänden.
Alles in allem lässt sich sagen, dass die Produkthaftungsrichtlinie das Produkthaftungsrecht auf einen aktuellen Stand bringt und für den Verwender eines Produkts zusätzliche Kompensationsmöglichkeiten im Falle einer Schädigung bietet. Für Unternehmen ergeben sich aber insbesondere durch die umfangreichen Offenlegungspflichten sowie den Wegfall von Haftungshöchstgrenzen und Selbstbehalt neue Herausforderungen.
In der im JIPS geführten Diskussion wurde vor allem nochmals erörtert, welchen räumlichen Anwendungsbereich das Produkthaftungsrecht hat und dass es dafür nicht auf den Sitz eines Unternehmens, sondern vielmehr auf das Inverkehrbringen eines Produkts im europäischen Wirtschaftsraum ankommt.
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Quellen:
„EU bürdet Industrie neue Prozessrisiken auf“, ein Beitrag von Thomas Klindt vom 05.11.2024 auf www.faz.net
Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz – Referentenentwurf Gesetz zur Modernisierung des Produkthaftungsrechts
Haftung für KI: Eine Einordnung der neuen Produkthaftungsrichtlinie zwischen Vertrag und Deliktsrecht, ein Beitrag von Oliver Belitz vom 05.08.2025, Kanzlei Bird & Bird
