Das NetzDG – hui oder pfui?

Vor zwei Jahren, am 01.10.2017, trat das Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) in Kraft. Seitdem ist es sehr viel Widerspruch ausgesetzt, welche zumeist von plumper „Zensur!“-Schreierei, bis hin zur sachlichen Kritik an der Umsetzung des Gesetzesziels reicht. In einem Gastkommentar bei „Legal Tribune Online“ zog Richter am Landgericht Stuttgart Dr. Christoph Buchert eine Zwischenbilanz.
Buchert gehe davon aus, dass das NetzDG trotz aller Schwierigkeiten dennoch ein hinreichender Gewinn für den Rechtsstaat sei, insbesondere da Volksverhetzung, rassistische Verunglimpfungen, Morddrohungen, sonstiger Hass und verbale Gewalt den gesellschaftlichen Frieden in der Bundesrepublik gefährden; dies sei insbesondere dahingehend erkennbar, dass der Wunsch nach einem staatlichen Eingreifen seit dem Attentat von Halle sehr laut sei. Diesem Wunsch und der mit dem Betreiben der Netzwerke einhergehenden Verantwortung der Netzwerkanbieter komme das NetzDG bereits nach; insbesondere da die Anbieter der sozialen Netzwerke hierdurch verpflichtet würden, ihre gesellschaftliche Verantwortung wahrzunehmen und rechtswidrige Inhalte zu löschen. Jedoch bedürfe es auch einer konsequenten Strafverfolgung.

Der Meinungsaustausch in sozialen Netzwerken entspräche dem Zeitgeist und habe den Vorteil, dass eine Diskussion über einen längeren Zeitraum geführt und mitverfolgt werden könne; insbesondere diejenigen, welche nicht gerne im Rampenlicht stünden, oder eben gesellschaftlich benachteiligt seien, können bei einer Onlinediskussion stärker mitwirken, als sie tatsächlich in der nichtdigitalen Welt die Möglichkeit dazu hätten. Meinungsaustausch und Pluralismus der Meinungen sei grundsätzlicher Bestandteil der Demokratie und entspreche der Intention des Verfassungsgebers mit Art. 5 I 1 des Grundgesetzes (GG); jedoch werde dieser positive Grundgedanke und diese positive Möglichkeit dadurch pervertiert, das einzelne Nutzer diese Möglichkeit zur Begehung von Straftaten verwenden (Bedrohung, Volksverhetzung, etc.). Da hier die Hemmschwelle des persönlichen Auftretens fehle, würden derartige Inhalte bewusst geteilt und verwendet. Dies sei für einen Rechtsstaat nicht hinnehmbar; derartige Taten seien eine Gefahr für das friedliche Zusammenleben und eben für die Demokratie, insbesondere da dies auch in der realen Welt gelte. Infolgedessen sei eine strafrechtliche Verfolgung, dieser Taten eben kein Angriff auf die Meinungsfreiheit und auch keine Zensur im Sinne des Art. 5 I 3 GG, sondern die Durchsetzung bereits bestehenden geltenden Rechts. Da die Hemmschwelle kontinuierlich in sozialen Netzwerken sinke, würden insbesondere jene Netzwerke die Verantwortung dafür tragen, da die virale Verbreitungsmöglichkeit der Tat den Boden für weitere Taten lege; insbesondere käme es den Tätern darauf an, möglichst öffentlichkeitswirksam über diese Netzwerke ihre Äußerungen zu verbreiten, sodass konkret das Netzwerk als Tatmittel diene. Hieraus ergebe sich die Rechtfertigung, die Betreiber solcher kommerziellen Plattformen rechtlich in die Pflicht zu nehmen, zwar nicht hinsichtlich der Verhinderung solcher Taten, aber zumindest hinsichtlich der Eindämmung der unkontrollierten Verbreitung strafbarer Inhalte. Hierbei verpflichte das NetzDG die Betreiber sozialer Netzwerke, anwenderfreundliche Mechanismen zu schaffen, um strafrechtlich relevante Inhalte zu melden, woraufhin sie dann durch geschultes Personal überprüft und gegebenenfalls gelöscht und gesperrt würden; zusätzlich gäbe es noch flankierende Berichtspflichten, durch welche die Betreiber gezwungen würden, halbjährig über den internen Umgang mit Beschwerden Rechenschaft abzulegen, was ein starkes Signal des Gesetzgebers sei.
Trotz des Umstandes, dass die Bewertung des NetzDG und dessen Umsetzung durchwachsen seien, gehe Buchert von einer Wirksamkeit des Gesetzes aus, da die Betreiber ihren Prüf-und Löschpflichten weitestgehend nachkämen, was teilweise bereits zu Accountslöschungen führte; ebenso haben die Berichte offengelegt, dass die Beschwerdemöglichkeiten bei Facebook völlig unzureichend und Nachbesserungen erforderlich seien, da ansonsten dem Konzern ein Bußgeld drohe. Reformbedarf sehe Buchert jedoch bei der Konturschärfe der Berichte, um eine effektivere Sanktionierung und Gesetzesanwendung zu ermöglichen.Unbegründet sehe er die Anfangs gegebene Panik vor übermäßigen Löschungen, da die Sorge, dass die Anbieter die Löschpflichten extensiv auslegen, sich nicht bewahrheitet habe, was man bereits an der Diskussion über die Diffamierung von Renate Künast sehe, also, dass die Grenzen der Meinungsfreiheit in sozialen Netzwerken weiterhin gänzlich ausgelotet würden. Jedoch könne man insbesondere nicht erwarten, dass die strenge Löschpflicht für mögliche offenkundige Verstöße die schnelle Hilfe bringe, bei einem angeblich doch so klaren Gesetzeswortlaut, da eine sorgfältige rechtliche Überprüfung und Rechtsfindung eben Zeit in Anspruch nehme. Schwierige Einzelfallumstände, so Buchert, seien nicht ausreichend, einem Gesetz seine Wirksamkeit abzusprechen.
Da die Maßnahmen des NetzDG bei der Bekämpfung von Hass und Hetze im Netz nur ein kleiner Baustein seien, bedürfe es weiterhin einer konsequenten Strafverfolgung durch Polizei und Justiz; wer Netzwerkanbieter auf Grund ihrer gesellschaftlichen Verantwortung in die Pflicht nehme, hätte auch seine eigenen staatlichen Aufgaben zu erfüllen und die Strafverfolgungsbehörden angemessen auszustatten. Dies sei nicht der Fall. Insoweit bewerte Buchert die geplante Einführung einer gesetzlichen Anzeigestellungspflicht für Plattformbetreiber als möglicherweise dienlich, jedoch führe sie weiterhin zu einer Privatisierung der Strafverfolgung. Wichtiger sei es, die rechtlichen Hürden bei der Verfolgung der Täter zu senken.Zu begrüßen sei es auch, dass die Diskussion nun wieder in Richtung einer staatlichen Kompetenzbündelung für Hasskriminalität ginge.
Die Wirksamkeit des NetzDG zeige, so Buchert, dass es, wenn auch verbesserungswürdig, eine realexistierende Möglichkeit gäbe, gegen Hass und Hetze im Internet vorzugehen. Auf Grund seiner tatsächlichen Wirksamkeit leiste das NetzDG einen wichtigen Beitrag zur wehrhaften Demokratie, welche das GG vorzeichne.

Quelle: https://www.lto.de/recht/hintergruende/h/pro-contra-netzdg-ein-gewinn-fuer-den-rechtsstaat/